Ein kultureller Sommer zwischen
Vergangenheit und Zukunft


In Walbeck steht ein Gutshaus wie viele in Sachsen-Anhalt. Doch hier wurden nach 1750 auf circa einem Hektar Fläche zahlreiche Wirtschaftsgebäude und Stallungen, die bis heute erhalten sind, dazugebaut. Alles schön geometrisch auf das zweiflügelige Hauptgebäude ausgerichtet. Von der Kirche über Landwirtschaft und Handwerksbetriebe wie Schmiede, Stellmacherei, bis zu den Fischteichen, um die Eiweißversorgung über das ganze Jahr zu gewährleisten, wurde hier eine perfekte Infrastruktur geschaffen. Und so kann man sich vorstellen, dass sich das Dorfleben zu Hochzeiten des Gutes auf diesem Gelände abspielte.

Nach der Wende fand sich leider keiner, der das, in der DDR-Zeit als volkseigenes Gut fungierende Gebäudeensemble, zu nutzen wusste. 20 Jahre lang wechselten die Besitzer, die Dächer wurden marode und nicht nur die Dachstühle lösten sich in ihre Bestandteile auf.

2011 ersteigerte Familie Endres das Schloss und setzte auf die Dachflächen der Wirtschaftsgebäude, in Absprache mit der Denkmalpflege, eine Photovoltaikanlage. Dazu wurden sämtliche, von Wasserschäden gekennzeichnete Dachstühle wieder instandgesetzt und frisch eingedeckt. Somit war das Gebäude wieder vor dem Verfall geschützt.

Aber es ging weiter und die neuen Schlossbesitzer entschieden sich, die Gewinne aus der Photovoltaikanlage in die Sanierung des restlichen Schlosses direkt wieder einfließen zu lassen. So schreitet die Sanierung kontinuierlich voran.


Seit Mai 2013 waren die beiden Aktionskünstler STEPHANundVERENA vor Ort, um das Schloss auch gesellschaftlich wieder nach vorne zu bringen. Sie haben sich darauf spezialisiert, leerstehende, historisch wertvolle Gebäude wieder zu beleben, sie wieder in das Bewusstsein der Bevölkerung zurückzuholen und einen Kommunikationspunkt zu schaffen, um sich über das Objekt auszutauschen.

Dazu arbeiteten STEPHANundVERENA die über 1000-jährige Geschichte der Schlossanlage auf und brachten den Besuchern die vergangenen Zeiten in Form von dreidimensionalen, dem Raum angepassten, Materialcollagen wieder nahe. Dabei spannten sie den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart, von den lokalen Realitäten zum globalen Weltgeschehen und wollten die Besucher zur Auseinandersetzung mit ihren Environments anregen, sich an Früher zurück zu entsinnen und die Kunstinstallationen als Anstoß zu nehmen, sich Gedanken über die eigene Situation im Hier und Jetzt, sowie in der Zukunft zu machen.


Den Anfang des kulturellen Sommers auf Sonnenschloss Walbeck machte Woltähr, ein Barde, Troubadour, ein Liedermacher aus der Stadt Trier, der den Spuren Voltaires folgend auf dem Weg nach Sanssouci einen Zwischenstopp in der ehemaligen Kaiserpfalz Walbeck einlegte. Wie damals den Nonnen die Zeitung erzählt wurde, brachte er mit seiner Leier, Gitarre oder Concertina Neuigkeiten von der weiten Welt auf das Mansfelder Land.


Am achten Neunten, um zehn Uhr wurde die Ausstellung im Rahmen des Tages des offenen Denkmals dann offiziell eröffnet. Hierzu wurde auf eine vielfältige Beteiligung der ortsansässigen Vereinigungen Wert gelegt. Auch bereicherten passende Musik und rustikale Speisen den Tag, vom Fanfarenzug bis zum live gegrillten Schwein. Die Besucher konnten, ausgestattet mit einem Lageplan und Denkanstößen zu jedem einzelnen Kunstobjekt, auf einem gelenkten Gang das Schloss und einige Wirtschaftsgebäude besichtigen, wobei alle geöffneten Räume auch künstlerisch bearbeitet waren. Die meisten verarbeiteten Materialien, wie beispielsweise die verrotteten, von den Arbeitern ausgewechselten Balkenköpfe, die ehemaligen Fenster oder die historischen Nägel, waren vor Ort gefunden oder aus dem Umfeld zusammengetragen, mit Foto-, Video-, Ton- und Textdokumenten kombiniert und raumgreifend in den einzelnen Zimmern „installiert“. So wurde das 20 Jahre im Dornröschenschlaf gelegene Schloss zu einem Wandelhaus der Sinne durch Vergangenheit und Gegenwart. Passend zu den einzelnen Raumambienten waren, mit Hilfe einer speziellen Drucktechnik, von den beiden Künstlern gemeinsam angefertigte Bilder zu sehen, die in der Zeit des Aufenthaltes der Künstler auf dem Sonnenschloss entstanden sind. Themen wie das Klosterleben, die DDR-Zeit, die Problematik der Pest oder aktuell des Feuerbrandes wurden aufgegriffen und jedes Bild unterstützte nochmals die Aussage des Themenraumes. Im letzten Raum der Ausstellung im Schloss, dem Blauen Salon, spielte Genosse Oberstleutnant L. seine Kampfliedouvertüren als lebendiger Teil der Installation.


Ein weiteres synästhetisches Erlebnis gab es am Sonntag, den 29. September mit einer besonderen Lesung im Rahmen der Literaturtage Sachsen-Anhalt auf Sonnenschloss Walbeck. Der in Magdeburg lebende Autor Herbert Beesten bewegte sich zusammen mit dem Publikum durch die Ausstellung und nahm mit seinen Texten darauf Bezug. So ging es um Landthemen wie Mensch und Kuh, Zukunftsmusikvisionen im großen Saal, aber auch Dadaismus gepaart mit ruhigen Liebesreimen in den kleinteiligen Räumlichkeiten, wie sie vielleicht rührend zu früheren Schlosszeiten Minnesänger dort geflüstert oder zu Internatszeiten zwischen den Jungs und Mädchen geraunt wurden. Herbert Beesten bot den begeisterten Zuschauern eine „Gänsehautperformance“ und hauchte auf seine Art Leben zwischen Schloss und Kunst.


Die Künstler durften an 7 Wochenenden jeweils immer über 100 Neugierige auf dem Sonnenschloss begrüßen und freuten sich über den Austausch mit den Besuchern. Ebenso konnten sie mit Künstlerkollegen anderer Sparten Pläne für weitere Events schmieden und so gab die Ascherslebener Oboistin Beatrix Lampadius zusammen mit zwei Kolleginnen ein sogenanntes Werkstattkonzert im Rahmen der Ausstellung im Blauen Salon. Das Programm wurde der turbulenten Geschichte des Schlosses angepasst. Von Mozart über Schumann, Eigenkompositionen und Jazz bis hin zum Musical. Die drei professionellen Musikerinnen aus Aschersleben und Bernburg, Beatrix Lampadius an der Oboe, Annelie Leuthäuser, Gesang und Shanna Griniwa am Piano, überzeugten neben ihrer musikalischen Klasse auch mit Entertainerqualitäten, sodass das Publikum kein steifes, ernstes Konzert, sondern einen aufgelockerten, intensiven und auch lustigen Musiksonntag erleben durfte.


Auf gleichem Weg lernten STEPHANundVERENA die beiden Folkmusiker Susanne Wolf und Gerald Haucke-Wolf kennen und planten mit ihnen ein Konzert zur Finissage am Reformationstag. Als Folkmusicduo Tunichtgut sind die Sangerhausener regional und darüber hinaus musikalisch unterwegs. Sie spielten traditionelle Musik aus Irland und Schottland bis hin zu deutschen Volksliedern. Zwei Stimmen, begleitet von vielfältigem Instrumentarium ließen immer neue Klangfarben entstehen. Zwischendurch wurden die Zuhörer mit kleinen Geschichten zur Musik unterhalten. So schafften es die beiden Musiker ihr Publikum mit auf die Reise zu nehmen.

STEPHANundVERENA bedanken sich bei all denen, die bei diesem erfüllten Sommer auf dem Sonnenschloss mit Literatur, Musik und der bildenden Kunst dabei waren. Dazu gehören sowohl die Aktiven als auch diejenigen, die durch ihre Präsenz gezeigt haben, dass die Menschen hier in der Region durchaus offen für neue Ideen sind.

Nach dem Rückbau ihrer Ausstellung werden STEPHANundVERENA neuen Abenteuern, die das Leben bringen wird, entgegensteuern. Für Walbeck wünschen sie sich, dass einige ihrer „Denkanstöße“ in den Herzen hängen bleiben und vielleicht auch weitergetragen werden.